Mittwoch, 16. Februar 2011

"Doktor" Guttenberg

Georg Seesslen hat's schon gewusst, als er des Freiherrs Haargel kontextualisierte, der Bursche ist nicht ganz koscher. Und jetzt kommt es raus, der Edelmann ist Plagellant. Da wäscht man seinen Studis stundenlang den Kopf, wenn sie nur das blöde Wikipedia als wissenschaftliche Quelle mißbrauchen und dann zeigt dieser Nobelfeudel mal wieder allen, dass selbst Bundesminister die Einleitung ihrer Dissertationsschrift mit der FAZ verwechseln. Dahinter steckt ein armer Tropf. Ist der Herr Minister so prä-googelig naiv oder hat er nur zu wenig in seinen Ghostwriter investiert? Wie kann man die komplette erste Seite seiner Einleitung aus einem FAZ-Artikel kopieren (das geht jetzt nicht gegen die FAZ)? Ausgerechnet der Text, in dem man persönlich zum Thema Stellung nimmt und seine zentralen Gedanken von Fußnoten befreit artikuliert, in den man UNMÖGLICH aus Versehen einen Fremdtext dieser Länge einbauen könnte, wenn man denn eine nur annähernd adäquate Vorstellung von der Natur einer Dissertation hätte. Das ist ein Offenbarungseid und wirft für mich ernsthaft die Frage auf, ob Guttenberg die ganze Arbeit hat schreiben lassen oder selber so dämlich war zu glauben, das würde nicht auffallen und reklamiert werden. Ich wundere mich ja schon immer, dass plagiierende Studierende glauben, man würde nicht merken, dass ein Text von nordhessischem Pidginenglisch in geschliffenen Harvardstil wechselt - Trauerbild einer aus grenzenloser Ignoranz gezeugten Unverfrorenheit. Da würde ich vom Freiherrn doch mehr Grips erwarten. Die vorliegende Evidenz hätte bei einem Studenten jedenfalls schon zur Exmatrikulation genügt, in der Diss wiegt sie noch wesentlich schwerer, aber ich vermute, wenn man jetzt über Google hinaus die Arbeit professionell abgleicht, werden noch wesentlich mehr "Abschriften" zu Tage treten.

Umso mehr erstaunt die bemühte Verteidigung des Verteidigungsministers in diversen Onlinekommentaren, zwar nicht parteipolitisch, aber doch intellektuell. Es ist offensichtlich, dass Nicht-Akademiker die fachliche Tragweite des Falles überhaupt nicht einschätzen können. Liebe Leute, das rührt an das Ethos, die grundlegende Identität von Wissenschaft und da verstehen integere Akademiker ÜBERHAUPT KEINEN SPASS (nach der faktischen Halbierung unserer Gehälter durch den Wechsel von C zu W zu TVL Besoldungstarifen ist nämlich nicht mehr viel anderes übrig :-L). Seit Jahren schlagen wir uns an den Unis in Lehre und Forschung mit dem Plagiarismus herum und da sind solche prominenten "Vorbilder" wirklich das Letzte, was man gebrauchen kann. Dass hier ein zunächst mal rein akademischer Skandal politisiert wird ist mir als Akademiker total schnurz. Wenn's ein Grünenpolitiker wäre, es machte für mich keinerlei Unterschied. Und wenn die Verfehlung nicht da wäre, könnten andere sie auch nicht instrumentalisieren. TOUGH LUCK.

Aber wozu das Ganze? Der Mann ist doch schon adelig! Können sich solche Titelfetischisten nicht einfach einen Ehrendoktor an der Universität der Walachei organisieren oder Honorarkonsul werden, statt die Wissenschaft zu mißbrauchen? Aber der Parteifilz sorgt dann sogar noch für ein summa cum laude, wo Mitleids-rite wohl bestenfalls angebracht wäre. Als jemand, der sich jahrelang für seine Diss unausprechliche Körperpartien aufgerissen hat kocht da mein Blut und ich möchte sagen: auf die Planke der Gorch Fock, Du liederlicher Knilch. Jeder, aber auch jeder, der promoviert hat, weiß genau, dass Karl Theodor Homer Simpson zu Guttenberg geschwindelt hat, oder hat lassen. Wenn Bayreuth diesen Titel nicht aberkennt, sollte man dem Laden jegliche Akkreditierung aberkennen. Und ich frage mich jetzt natürlich, ob der Freiherr nicht auch von ebay stammt...oder im 18. Jahrhundert für ein paar Silberlinge erworben wurde. Grrr, irgendwas an der französischen Revolution war doch nicht ganz falsch :-L

UPDATE: Die Schwarmintelligenz des Netzes versetzt Karl Theodor von und zu Axolotl den wissenschaftlichen Todesstoß. Diese Beweislast wird kein Gremium der Uni Bayreuth dezent unter den Teppich kehren können. Da es sich scheinbar um eine systematische, wenn auch stümperhaft internetbasierte und daher leicht zu entlarvende  Cut & Paste Arbeit handelt, liegt der Verdacht nahe, es handele sich um eine Auftragsdissertation. Oder glaubt jemand enrsthaft, der Freiherr hat nächtens am Computer gesessen und stundenlang Textstellen gegooglet und zusammengefügt?

Mir langt's schon lange

Es brodelt ja schon eine ganze Weile. Die deutsche Universität schafft sich ab (damit tumbe Sarrazinen in Zukunft gänzlich ungestört von Fachwissen ihren Schwachsinn in der Öffentlichkeit verbreiten können?) und macht einer McKinseyfizierten Bachelorauswurfmaschine Platz, bemannt vom akademischen Prekariat mit Jahresvertrag und einer buchstäblich lehr- und forschungsfreien Professorenschaft - die ist nämlich nur noch mit Drittmittelanträgen beschäftigt. Ein globaler Prozess ist das, der weltweite Sieg der neoliberalen Leitkultur, deren Menschenbild, darin so gar nicht ihren edleren liberalen Wurzeln verpflichtet, einer nackten Verwertungslogik unterliegt, die sich schon bedenklich der stalinesken Lehre nähert, dass man, um den Menschen an sich zu befreien (oder zumindest den Wert seines Aktienportfolios zu steigern) ruhig auch mal größere Mengen konkreter Menschen opfern darf (im Vietnamsprech: we had to destroy the village in order to save it). Wer das alles für Verschwörungsgelaber hält, möchte bitte mal, so des Englischen mächtig, die New York Review of Books zum Schicksal der britischen und amerikanischen Universitäten lesen und sein eigen Institut darin wiedererkennen.

Somit, willkommen auf diesem blog, welches der Belustigung und -lehrung dienen mag, primär aber der Psychohygiene des Autors. Und so etwas muss man in Zeiten, da Paare sich per Handy in der Bahn trennen, natürlich öffentlich betreiben!